Was bedeutet Glück für Sie, Herr Gemkow?
Foto: Andreas Teichmann
„Ich bin der Neue“
So schlicht stellt sich Stephan Gemkow beim Haniel-Sommerfest Ende Juni seinen künftigen Mitarbeitern vor. Wer mehr wissen will, spricht ihn einfach an und erfährt zum Beispiel, dass der 52-Jährige bald mit seiner Frau zu einer Segel-Kreuzfahrt aufbricht, „wo ich keinen Smoking brauche und Titel sowieso niemanden interessieren.“ Gemkow ist kein Selbstdarsteller, keiner, der sich hinter Hierarchien verschanzt, sagt sein ehemaliger Büroleiter Jörg Beißel, der Gemkow bei der Lufthansa „fünf Jahre auf Schritt und Tritt begleitet“ hat. Auf E-Mails zum Beispiel antworte der Chef immer selbst – und das postwendend. Fast schon legendär sind seine sekundenschnellen Repliken, die meist nicht mehr enthalten als ein „O.K. GE“, aber dafür sorgen, dass Projekte zügig vorankommen.
Überflieger
In Spitzengeschwindigkeit ist auch die Karriere des gebürtigen Lübeckers gelaufen. 1990 kommt er zur Lufthansa, wo man sein strategisches Talent schnell erkennt und ihn schon Mitte des Jahrzehnts als Vertriebschef in die USA schickt. Kaum zurück, wird Gemkow Leiter Investor Relations, später Leiter der Konzernfinanzen. Und schließlich, 2006: Finanzvorstand. Mit 46 Jahren. „Gegen meinen Willen“, kommentiert er das heute. Das mag man glauben oder nicht, aber tatsächlich ist Gemkow kein typischer Finanzmensch. Zwar hat er Betriebswirtschaft studiert, sich jedoch einen Schwerpunkt im Marketing gesucht und sich im Nebenfach mit Psychologie beschäftigt. Deshalb sah er seine Aufgabe bei der Lufthansa wohl auch nie allein darin, Geld für neue Flugzeuge zu beschaffen. Der zweifache Vater ist immer nah dran am operativen Geschäft, übernimmt 2009 auch noch den Aufsichtsratsvorsitz bei den wichtigen Lufthansa-Töchtern Cargo, Technik, LSG Sky Chefs und Systems und gehört zu den Architekten des großen Restrukturierungsprogramms „Score“. Willie Walsh, zu dieser Zeit Chef beim Konkurrenten British Airways, sieht Gemkow unter den Top drei der wichtigsten Airline-Manager weltweit. Auch Analysten und Journalisten sind voll des Lobes, weil Gemkow transparent bilanziert und gut erklärt. Da lohne sich das Zuhören, schreibt das Handelsblatt, denn die Präsentation vermeintlich schnöder Bilanzzahlen werde gerne mal zu einer kleinen Vorlesung in Sachen Rechnungslegung.
Analytiker
„Bei der Lufthansa kannte ich nach 22 Jahren im Unternehmen die Zahlen, die Zusammenhänge, die Prozesse, die Menschen“, sagt Stephan Gemkow. Das sei auf der einen Seite natürlich gut gewesen, aber er habe aufpassen müssen, nicht einzurosten. „Besser wird man dann ganz sicher nicht.“ Kein Zustand für jemanden, der von sich und anderen immer Bestleistung erwartet. Deshalb hatte er zumindest ein offenes Ohr für den Headhunter, der ihn im vergangenen Winter anrief und von „Herausforderungen im Portfoliomanagement“ sprach. Gemkow hört sich das Angebot an, legt auf, überlegt – und wählt nach wenigen Minuten die Nummer des Anrufers. „Ich nehme an, es geht um das Unternehmen Haniel aus Duisburg?“
Familienmensch
Nicht zuletzt wegen seiner Fähigkeit zur schnellen Analyse steht Gemkow von Anfang an ganz oben auf der Favoritenliste von Aufsichtsratschef Franz Markus Haniel, als es um den Job des Vorstandsvorsitzenden von Haniel geht. Auch die Tatsache, dass es Gemkow gelungen ist, bei der Lufthansa massiv Schulden abzubauen, ist ein Pluspunkt. Man trifft sich, redet, Gemkow hakt immer wieder nach. Es geht ebenso um Klumpenrisiken im Haniel-Portfolio wie um den Reputationsschaden durch die öffentliche Diskussion von Personalentscheidungen. Die Art und Weise, wie sich Franz Markus Haniel diesen Themen stellt, kommt bei Gemkow gut an, gleichzeitig beginnt die Aufgabe, seine Begeisterung zu wecken – auch und gerade, weil er die Vorteile eines Familienunternehmens sieht: „Ich trauere keiner Hauptversammlung nach. Alle sitzen auf der Bank und geben kluge Kommentare ab. Aber wenn es schiefgeht, ist der Vorstand schuld. Das finde ich manchmal etwas oberflächlich.“ Es folgen viele, viele Gespräche mit Vertretern von Unternehmen und Gesell Gesellschaftern – und natürlich mit der eigenen Familie. Gemkow ist seit 23 Jahren verheiratet, lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen im Bergischen Land. Der Ältere (19) absolviert gerade – wie einst der Vater – eine Ausbildung zum Bankkaufmann; sein 17-jähriger Bruder geht noch zur Schule. Beide Familien, die Gemkows und die Haniels, sind sich schnell einig: Das passt.
Realist
Bei den Unternehmenseignern kommt gut an, dass der nüchterne Stratege keine Luftschlösser baut. „Ich bin mir nicht sicher, ob die nächsten Nachrichten gleich die guten sein werden“, sagt er, als er sich im April den Gesellschaftern vorstellt. Gleichwohl zeigt er sich beeindruckt von der strategischen Arbeit seines Vorgängers Jürgen Kluge und will wie er das Haniel-Portfolio auf Megatrends ausrichten. Wie das gehen kann, dafür „habe ich viele Ideen. Aber ich fände es vermessen, die schon jetzt auszubreiten.“ Auch da gibt sich Gemkow ganz als zurückhaltender Hanseat, der nach eigener Aussage Wasser um sich herum braucht. Gute Voraussetzungen bei Haniel: Der Firmensitz Ruhrort, wo Rhein und Ruhr zusammenfließen, ist quasi eine Insel.